Primär biliäre Cholangitis in Deutschland: Prof. Trautweins Perspektive
Prof. Trautwein ist Professor an der Uniklinik RWTH Aachen, Abteilung Medizinische Klinik III, in Deutschland. In diesem Artikel kommentiert er die Bedeutung der frühzeitigen Intervention bei primär biliärer Cholangitis, die Herausforderungen bei der Diagnose der Erkrankung, das Check-up 35-Programm, die medizinischen Herausforderungen bei primär biliärer Cholangitis (PBC), die heutzutage bessere Prognose und den ungedeckten Bedarf.
Warum war die Namensänderung für PBC so wichtig?
Bei primär biliärer Cholangitis (PBC) findet eine Immunreaktion innerhalb der kleinen Gallengänge statt, was bedeutet, dass die Gänge mit der Zeit zerstört werden. Histologisch* unterscheiden wir zwischen vier unterschiedlichen Stadien der Erkrankung. Im Endstadium haben wir eine Zirrhose. PBC stand ursprünglich für primär biliäre Zirrhose. Diese Bezeichnung wurde jedoch vor etwa fünf oder sechs Jahren in Cholangitis geändert. Das war das Ergebnis der Arbeit von Patientenorganisationen, die nicht wollten, dass der Fokus auf Zirrhose liegt, da diese erst in den Spätstadien der Erkrankung auftritt. PBC ist ein gutes Beispiel einer Erkrankung, bei der wir im Frühstadium intervenieren müssen. Unser im Laufe der Zeit verbessertes Verständnis bedeutet für Betroffene eine bessere Prognose.
*Histologie ist die Untersuchung von Gewebe
Welche diagnostischen Herausforderungen gibt es bei PBC?
Viele Lebererkrankungen werden nicht erkannt, weil sie sehr lange asymptomatisch verlaufen. Eine PBC kann also schon sehr lange vorliegen, ohne dass dafür typische Symptome auftreten. Würde ein Hepatologe oder Allgemeinmediziner weiter nachforschen, würden sich aber eventuell erhöhte Werte für alkalische Phosphatase (ALP) oder Gamma-Glutamyltransferase (GGT) ergeben. Vor allem die erhöhten ALP-Werte sind typisch bei PBC. Liegen solche Werte vor, insbesondere bei Frauen, muss an PBC oder eine andere cholestatische Lebererkrankung gedacht werden.
Der spezifische diagnostische Test wäre dann die Testung auf antimitochondriale Antikörper (AMA). Erhöhte alkalische Phosphatase und ein positiver AMA-Befund sind quasi die Kriterien für die Diagnose einer PBC. Die AMA-negative PBC kommt sehr selten vor. Bei AMA-negativer Erkrankung handelt es sich daher möglicherweise um eine andere cholestatische Lebererkrankung.
Ist Fatigue ein hilfreiches Symptom in Bezug auf die Diagnose einer PBC?
Es ist schwierig, Fatigue von gewöhnlicher Müdigkeit zu unterscheiden und zu sagen, was einer Lebererkrankung geschuldet sein könnte und was nicht. Ich denke, das ist das Problem. Manche Menschen haben beispielsweise Schilddrüsenprobleme oder sind nicht aktiv und dadurch etwas erschöpft. Das Problem bei Fatigue ist also, dass das Symptom nicht spezifisch ist. Sie kann bei jeglichen Lebererkrankungen auftreten, zum Beispiel bei PBC, PSC, NASH und Virushepatitis.
Ich denke, die Identifizierung von Personen mit einer Lebererkrankung hängt stark sowohl von den Betroffenen selbst als auch von ihren Ärzten ab. Zum einen geht man nicht unbedingt mit allen Beschwerden zum Arzt und zum anderen nehmen Ärzte, die leicht erhöhte Leberwerte sehen, dies unter Umständen nicht besonders ernst und gehen davon aus, dass alles in Ordnung ist.
Ich halte die deutsche Gesetzgebung, die besagt, dass wir den Check-up 35 durchführen müssen, für wichtig. Denn die beste Möglichkeit, um festzustellen, ob jemand eine Lebererkrankung hat, ist die Untersuchung biochemischer Parameter. Fatigue ist kein sehr hilfreicher Diagnosemarker.
Worum handelt es sich beim Check-up 35-System, das in Deutschland umgesetzt wird?
In Deutschland haben wir den Check-up 35, der von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Dies ermöglicht allen eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung ab 35 Jahren. Diese Untersuchung beinhaltet auch die Leberwerte, damit wir feststellen können, ob möglicherweise Lebererkrankungen wie Virushepatitis oder natürlich auch seltene Erkrankungen vorliegen. Gerade bei seltenen Erkrankungen ist es sehr wichtig, dass diese erkannt werden.
Was sind die möglichen Vorteile des Check-up 35 für Menschen mit Lebererkrankungen, einschließlich PBC?
Ich glaube, es gab weitreichende Bemühungen, das Programm als eine prophylaktische Maßnahme zur Vermeidung des Fortschreitens der Erkrankung einzuführen. Wenn Lebererkrankungen frühzeitig erkannt werden, kann man intervenieren und eine Behandlung einleiten. Die langfristigen Kosten sind dann deutlich geringer.
Natürlich wurde dieses Programm nicht speziell für PBC entwickelt, sondern allgemein für verschiedene Erkrankungen, einschließlich Virushepatitis und nichtalkoholischer Steatohepatitis (NASH), die deutlich größere Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Als Nebeneffekt werden damit aber auch seltene Erkrankungen leichter erkannt: Ärzte sehen erhöhte Leberwerte und können dann weiter nachforschen, um herauszufinden, was die Ursache der Lebererkrankung ist. Dies könnte also dazu führen, dass mehr Menschen, die von PBC betroffen sind, identifiziert werden und eine Diagnose erhalten.
Mit welchen anderen medizinischen Herausforderungen – außer der PBC selbst – sind Menschen mit PBC konfrontiert?
Wir haben zusammen mit der Deutschen Leberstiftung eine Befragung durchgeführt, um die verschiedenen Erkrankungen zu ermitteln, die mit PBC in Verbindung stehen. Am häufigsten wurden Schilddrüsenentzündungen identifiziert, daneben auch rheumatoide Arthritis, Psoriasis, Colitis, Zöliakie und Sjögren-Syndrom.
Bei etwa 30 % der Menschen mit PBC liegt zudem eine Schilddrüsenerkrankung vor. Das ist eine recht hohe Zahl und bei diesen Personen kann die Krankheitslast deutlich höher sein. Und bei jeder cholestatischen Lebererkrankung, insbesondere bei Frauen, ist darüber hinaus unbedingt auf das Osteoporoserisiko zu achten.
Wo gibt es aus Ihrer Sicht noch ungedeckten Bedarf bei PBC?
Am dringendsten brauchen wir Programme, um PBC frühzeitiger erkennen und behandeln zu können. Denn wie wir wissen, können wir das Fortschreiten der Erkrankung deutlich wirksamer verhindern, wenn wir möglichst früh mit der Behandlung beginnen. Wenn die Erkrankung frühzeitig erkannt und eine Behandlung eingeleitet wird, können ir viel mehr Menschen vor einem Fortschreiten der Erkrankung bewahren. Es bleiben immer noch einige Fälle, bei denen die Behandlung nicht anspricht. Aber auch in solchen Fällen verbessert sich die Prognose durch die Behandlung.
Natürlich wäre es wichtig, neuartige Medikamente für diejenigen verfügbar zu haben, die nicht auf die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten ansprechen. Derzeit laufen bereits zahlreiche Studien, um die Behandlungsmöglichkeiten zu erweitern.
Prof. Trautwein ist Professor an der Uniklinik RWTH Aachen, Abteilung Medizinische Klinik III, in Deutschland. Er ist auf die Behandlung von Leber- und Stoffwechselerkrankungen sowie gastrointestinalen Tumoren spezialisiert. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Lebererkrankungen, der Pathophysiologie von Tumorerkrankungen des Gastrointestinaltrakts und endoskopischen Untersuchungsverfahren.
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Haftungsausschluss: Die medizinischen Informationen in diesem Artikel stellen keine medizinische Beratung dar. Sie dürfen NICHT als Mittel zum Verständnis oder zur Beurteilung potenzieller Optionen für Diagnose und Behandlung verwendet werden. Betroffene müssen einen Arzt aufsuchen, um eine medizinische Beratung, Diagnose und Behandlung zu erhalten, die ihren spezifischen und individuellen Umständen entspricht. Dieser Artikel beinhaltet nicht alle Informationen über die Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten, Medikamente, Nebenwirkungen und Risiken, die für individuelle Patientinnen und Patienten gelten. Betroffene müssen sich in Bezug auf Informationen zu diesen Aspekten an eine medizinische Fachkraft wenden. Diese Informationen stellen keine Befürwortung von Therapien oder Medikamenten als sicher, wirksam oder zugelassen zur Behandlung spezifischer Patientinnen und Patienten dar.
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